Ein überfälliger Blick in die Geschichte
Wie heißt es so schön? Geschichte wird von Siegern geschrieben. Welch Zufall, dass sich in den letzten Jahrhunderten zumeist Männer an der Geschichtsschreibung austoben durften und Frauen in jener oftmals gar nicht, im besten Fall nur als Randerscheinigungen, vorkamen. Weibliche Pioniere? Die kennt man schon, aber letztlich sind es Ausnahmen im großen Pionierirrsinn der Jahrhunderte. Mit der vom Kollektiv c.t.201 produzierten Inszenierung „33 Frauen“ stellt Sibel Polat 33 solcher Frauen vor. Geschichtlich und gesellschaftlich relevant – und es wurde höchste Zeit, dass diese Frauen ihre verdiente Aufmerksamkeit bekommen.
Schonmal von den Taten der Madame C. J. Walker (geboren Sarah Breedlove) gehört? Als schwarze Frau zog sie Anfang des 19. Jahrhunderts in den USA ein erfolgreiches Haarprodukt-Unternehmen hoch, durch welches sie sich zu einer der ersten weiblichen Self-made-Millionärinnen der Vereinigten Staaten emporarbeitete. All das zu einer Zeit, in der in den USA Diskriminierungen gegenüber Afroamerikanern zum gutbürgerlichen Ton gehörten. Je bekannter sie wurde, desto mehr setzte sie sich in der Folgezeit für gesellschaftliche und soziale Themen ein, sie entwickelte sich zur Philanthropin und Aktivistin. In den Geschichtsbüchern allerdings, dort kommt sie nur eher selten vor.
Wie? Frauen haben in der Vergangenheit auch was geleistet?
Gleiches gilt für Mileva Marić. Der Kommilitonin (und späteren Ehefrau) von Albert Einstein wird mittlerweile nachgesagt, dass sie erheblichen Einfluss auf Einsteins Schriften ausübte, für manche wissenschaftliche Arbeiten wird sie gar als Co-Autorin gehandelt. Hört man von ihr im Geschichts- oder Physikunterricht? Nicht dass ich wüsste…
Vorgestellt werden diese beiden und die restlichen 31 Frauen in Form einer Late-Night-Show, moderiert von Sibel Polat. Pionierinnen aus der Vergangenheit und der Gegenwart wechseln sich in ihrer ganz persönlichen Präsentation ab und es wird mehr als offensichtlich, dass sie sich charakterlich und in ihrem Wirken in vielen Aspekten stark unterscheiden – letzten Endes jedoch unheimlich viele Gemeinsamkeiten besitzen.
Der Mann auf dem Prüfstand
Die Gastgeberin bedient sich dabei in ihrer eigenen Inszenierung des klassischen Männerbildes. Denn wie häufig sieht man schon einen weiblichen Host im Late-Night-Business? Das Stilmittel der Übertreibung reiht sich dabei perfekt in den Abend ein und stellt die angeprangerten gesellschaftlichen Missstände ins wohl verdiente Spotlight. Mit Macho- und Machtgehabe führt sie durch die Vorstellungen, interagiert gönnerhaft mit dem Publikum und ist nur selten verlegen, ihre eigene Erhabenheit zur Schau zu stellen. Ganz der Mann halt, den wir über die Jahrhunderte lieben und schätzen gelernt haben. Smiley.
Jut, als Mann fühle ich mich in diesem Ablauf das ein oder andere Mal durchaus angegriffen, das will ich nicht leugnen, die meiste Zeit stimme ich ihr jedoch stumm zu oder fühle mich einfach nur peinlich berührt ob der leider Gottes sehr zutreffenden Persiflage. Wären an jenem Abend noch ein paar männliche Besucher mehr im Raum zugegen gewesen, es wäre der Intention der Inszenierung sicherlich dienlicher gewesen als eine übermäßig weibliche Zuhörerschaft.
Was sagt das jetzt aus? Dass die Taten von Frauen mehr Aufmerksamkeit verdienen? Sicher, das benötigt keiner weiteren Diskussion. Auf der anderen Seite zeigt die ungewöhnliche Late-Night-Show mit bestechendem Charme und betörender Angriffslustigkeit, welche Umstände für die Verdrängung weiblichen Wirkens verantwortlich sind und waren. Man muss von der Art der Präsentation, der Darstellung überbornierter Männlichkeit, kein Fan sein – und ob es im gesamtgesellschaftlichen Diskurs mehr förderlich denn kontraproduktiv ist, steht auf einem ganz anderen Blatt – doch in diesem Kontext funktioniert die Performance einwandfrei. Diese gesellschaftskritische Inszenierung, kombiniert mit einer überfälligen Geschichtsstunde, gehört dorthin, wo sie derzeit nicht ist: Auf die Bühnen Deutschlands; und nicht nur in die Comedia.
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Fotos: Marvin Ruppert – Sibel Polat als Late-Night-Host.