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Wie denken junge Menschen über Europa, wenn plötzlich durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine der ganze Kontinent im Krisenmodus ist?“
Zeit für Entscheidung“ sucht nach Antworten. Unser Autor Norbert Raffelsiefen war bei der Premiere im Orangerie Theater und berichtet: Gerade war Europa noch eine Aneinanderreihung von günstig zu erreichenden Urlaubszielen, wie für den Kurztrip nach Kiew/ Kyiv im November 2021. Im sportiven Outfit mit „Back-to-front“ Cap, Laptop und Mischpult ausgestattet, erzählt ein junger Schauspieler, gespielt von Gareth Charles, eine lustige (selbst erlebte?) Anekdote dieser Städtetour. Er kam nämlich nur in die Disco, weil der Türsteher mit ihm die Hose tauschte. Jetzt ist die Stadt Kriegsschauplatz. Das eigentlich geplante Stück über die europäische Idee entwickelte sich in Folge dessen zu einer sehr aktuellen Reflexion darüber, wie man sich nun als junger Mensch verhalten sollte.
Regisseurin Deborah Krönung und Dramaturg Manuel Moser haben für c.t.201 mit Gareth Charles ein Stück erarbeitet, das die Zuschauer:innen direkt und sehr persönlich abholt. Wie geht man mit der Flut von Informationen um? „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“, lautet ein berühmtes Bonmot. Und doch gilt es die Dinge beim Namen zu nennen, Täter und Opfer nicht in einen Topf zu werfen. Fake-News von gut recherchierten Berichten zu unterscheiden.
Gareth Charles vollzieht diesen Prozess der Klärung sehr authentisch, transparent und mit adäquaten Mitteln. Worte werden zu Song-Loops verarbeitet, Grafiken und Zitate an die nackte Bühnenwand geworfen. Kontroverse, rasch an Aktualität verlierende Zitate finden sich in seiner Recherche wieder, aber auch der flammende Schlussapell aus Chaplins „Der große Diktator“. Dem „Monolog der Verzweiflung über Europa“ gelingt ein überzeugender Apell gegen das Abstumpfen angesicht der eigenen Überforderung und ein lebendiges Beispiel dafür, wie wichtig Theater auch und gerade in diesen Zeiten sein kann.
Kölnische Rundschau
Die Normalität ist noch ganz nah. „Wie ihr seht“, sagt der junge Mann auf der Bühne und hält eine graue Hose hoch, „war der Türsteher etwas kleiner als ich.“ Noch im vergangenen November war er nämlich in Kiew und erkundete die örtliche Clubszene, was ihm jene denkwürdige Begegnung mit dem Türsteher bescherte. Dieser gewährte ihm erst Einlass, nachdem er seine angeblichgegen Dresscode verstoßende Hose gegen die Beinkleider des Mitarbeiters getauscht hatte. Eine Episode, die, obwohl erst vor wenigen Monaten geschehen, heute bereits surreal und aus der Zeit gefallen erscheint.
Rund zweieinhalb Monate nachdem Russland die Ukraine überfiel, bringt das Ensemble c.t.201 das Thema bereits auf die Bühne. „Zeit für Entscheidung“ heißt der „Monolog der Verzweiflung über Europa“ (Regie: Deborah Krönung, Dramaturgie: Manuel Moser). Darin mimt Gareth Charles einen Schauspieler, der ein Stück über die europäische Idee plant und dabei von der Aktualität überroltt wird. Wobei man als Zuschauer nicht immer weiß, ob gerade wirklich der fiktive Charakter spricht oder der Mensch hinter der Bühnenfigur. „Wo läuft die Grenze zwischen dem Politischen und dem Privaten, wenn wir über Krieg reden?“, könnte die zentrale Fragen des gut einstündigen Monologes lauten. So sinniert der Darsteller anfangs darüber, dass die Begriffe EU und Europa fälschlicherweise oft wie Synonyme verwendet werden. Als spürbare Folgen des Krieges nennt er kurz darauf etwas flapsig: „Energie wird teurer, keine Pommes mehr im Gaffel“, um sich schließlich die Frage zu stellen: „Wer bin ich eigentlich, dass ich über die Ukraine rede?“